Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp Frau Professor Schulte-Fortkamp, das Thema Lärm ist immer häufiger auf der Agenda öffentlich geführter Debatten. „Die Welt soll leiser werden“ – so könnte man die Erwartung vieler Menschen betiteln. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es erst einmal eines gemeinsamen Grundverständ- nisses der Ursachen, Wirkungen und mögli- chen Lösungsansätze. Was ist Lärm? Lärm ist unerwünschter, störender und / oder gesundheitsschädlicher Schall (DIN 1320). Unerwünschte und störende Geräusche können in vielerlei Hinsicht beeinträchtigen, zum Beispiel psychisch, physisch, sozial und ökonomisch. Wesentlich ist, dass man Lärm nicht in Pegeln messen kann. Lärm ist eine Reaktion auf Geräusche, die sich als Belästi- gung, Ärger, Stress oder Erkrankung äußern kann. Warum empfindet jemand laute Musik als angenehm, während sein Nachbar sich von ihr gestört fühlt? Oder anders gefragt: Was macht ein Geräusch zu Lärm? Wie laut man Musik mag, ist abhängig von der eigenen Stimmung oder auch von der Art der Musik. Das erklärt, warum sich der Nach- bar gestört fühlen kann. Wenn Geräusche Gespräche unterbrechen, den Schlaf stören, nicht in eine Situation passen, dann werden sie zu Lärm. Je häufiger dies passiert, umso mehr fühlt man sich belästigt und kann in den Kreislauf von Ärger, Stress und Krankheit gelangen. Es ist nicht immer nur die Laut- stärke eines Geräusches, ganz häufig ist es seine Bedeutung. Auch das leisere Geräusch, das das Muster des ungewünschten Geräu- sches trägt, kann zu Lärm werden. Was unterscheidet Lärm von anderen Emissionen wie Schadstoffen oder Strah- lenbelastungen, denen wir in unserer hoch- entwickelten, mobilen Gesellschaft ausge- setzt sind? Lärm kann man auf jeden Fall reduzieren oder sogar vermeiden, und zwar technisch an der Quelle „herunterregeln“ oder sozialverträglich durch gesellschaftliche Vereinbarungen. Damit meine ich nicht nur, dass Regeln und Vorschriften zur Lärmvermeidung eingehalten werden müssen. Lärm ist ja nicht nur physika- lisch da, also nur technisch evoziert, sondern wird auch sozial erzeugt. Es geht also auch um individuelles und damit soziales Verhalten. Darüber hinaus, auch wenn die schädlichen Wirkungen von Lärm bekannt sind, lassen sie sich sehr häufig nicht direkt nachweisen, und das macht den Lärm gefährlich. Wir alle wollen mobil sein. In den Super- märkten sollen auch exotische Früchte stets frisch ausliegen. Flughäfen und Auto- bahnen, genau wie auch Mobilfunkanten- nen, sind aber unerwünscht. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung, die – zumindest in westlichen Gesellschaften – doch sehr verbreitet ist? Natürlich nutzt man gerne das Neue und auch Autobahnen und Flughäfen für sich. Die Frage ist nur, möchte man wirklich auch in der Nähe von Autobahnen und Flughäfen leben und die damit verbundenen Belastungen auf sich nehmen? Eher nicht! Das überlässt man gern den „anderen“. Was kann man gegen Lärm tun – aktiv und passiv? Gegen Lärm kann man sehr viel tun – aktiv und passiv. Aktiv wird der Lärm ja an der Quelle reduziert. Anfangen kann man damit, selbst Lärm zu vermeiden. Das hat etwas mit sozialem Verhalten zu tun. Wir kennen sie alle: die ewigen Telefonierer in Zügen, in Wartebe- reichen an Flughäfen, auf den Balkonen in Wohnanlagen und so weiter. Man muss auch nicht in Wohngebieten mit Motorrädern oder dem Sportmodus im Auto noch mal richtig nachlegen oder dem Nachbarn unbedingt seine neuste CD in voller Lautstärke präsen- tieren. Vorrangig geht es aber um die techni- schen Quellen: herstellungsbasierte Reduktio- nen von Geräuschentwicklungen an der Quelle, zum Beispiel um geräuscharme Fahr- zeuge auf der Straße, der Schiene und in der Luft. Bezogen auf den Ballast der Umweltge- räusche ist es unbedingt notwendig, den passiven Schallschutz für den eigenen Wohn- bereich zu nutzen. Aber dazu muss er auch zur Verfügung gestellt werden. ß Interview mit Frau Professor Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik, TU Berlin Fachgebiet Psychoakustik und Lärmwirkung 10 // Leiser in die Zukunft